Das Maul der Neunaugen sieht furchteinflößend aus. Tatsächlich ernähren sich diese Fische durch das Blut anderer Tiere, das sie ihnen aussaugen.
Allgemeines über Neunaugen
- Name: Neunaugen (Petromyzontiformes). Engl.: Lamprey eels
- Stamm: Chordatiere (Chordata)
- Unterstamm: Wirbeltiere (Vertebrata)
- Überklasse: Rundmäuler (Cyclostomata)
- Klasse: Petromyzonti(da)
- Ordnung: Neunaugen
- Vorkommen: kalte und gemäßigte Zonen rund um die Welt
- Max. Größe: 90 cm
- Gefährdung: stark gefährdet
Herkunft und Lebensraum

Neunaugen. Bild: Petromyzon marinus, CC BY-SA 4.0
Neunaugen (Petromyzontiformes) sind biologisch gesehen keine Fische sondern eine Ordnung fischähnlicher, stammesgeschichtlich basaler Wirbeltiere (Vertebrata), lebende Fossilien, die sich seit 500 Millionen Jahren kaum verändert haben. Sie haben einen aalartigen, langgestreckten Körper, der mit einem flossenartigen Rücken- und Schwanzsaum besetzt ist. Die Tiere haben zwei Augen (die vermeintlichen sieben weitere Augen sind Kiemenspalten).
Neunaugen fanden und finden auch in der Küche Verwendung, wo sie ähnlich wie Aal zubereitet wurden. Dies ist durch die zahlreichen Schutzbestimmungen heute kaum mehr möglich. Alle Arten von Neunaugen befinden sich auf der Roten Liste. Der Verband Deutscher Sportfischer, das Bundesamt für Naturschutz und der Verband Deutscher Sporttaucher haben die Ordnung der Neunaugen zum Fisch des Jahres 2012 gekürt.
Verbreitung der Neunaugen
Neunaugen kommen überwiegend in Küstengewässern und Süßwasser in kalten und gemäßigten Zonen vor. Ihr Verbreitungsgebiet umfasst Europa, das kalte und gemäßigte Asien, Nordamerika, Patagonien, den Südosten Australiens (inklusive Tasmanien) und Neuseeland. Für mindestens eine Art, nämlich Geotria australis, wird angenommen, dass sie auch beachtliche Distanzen im offenen Meerwasser zurücklegt.
Sehr stark haben sich Meerneunaugen als Neozoon in den nordamerikanischen Großen Seen ausgebreitet, wo sie durch Schiffe und Kanäle eingeschleppt wurden und keine natürlichen Feinde haben. Dort sind sie zur Plage geworden und bedrohen die einheimischen Fischbestände.[1] In Nordamerika gibt es für sie traditionell und aus anderen Gründen („Blutsauger“) keinen Markt als Speisefisch.
Außerdem sind die Tiere aufgrund ihrer Lebensweise zu stark mit Umweltgiften belastet. Sie werden mit Fallen (unter anderen auch mit künstlichen Pheromonfallen) und speziellen Giften in den Oberläufen der zufließenden Gewässer bekämpft. Da Neunaugen biologisch gesehen keine Fische sind und sich in ihrer Körperchemie stark von Fischen unterscheiden, war es möglich, Giftstoffe zu finden, die für Neunaugen, aber nicht für echte Fische giftig sind.
Anatomische Merkmale
Äußerlich ähneln Neunaugen mehr den Aalen oder Schlangen als gewöhnlichen Fischen. Je nach Art werden Neunaugen circa 20 bis 40 cm groß, im Meer bis zu 75 cm, vereinzelt auch größer. Die Haut der Neunaugen hat keine Schuppen. Die Tiere zeichnen sich durch ein großes ringförmiges Maul mit vielen hornigen Zähnen, besitzen aber keine keine Kiefer. Das rundliche Maul ist als Saugmaul ausgebildet.
Die erwachsenen Tiere haben zwei Augen. Die Flossen des Neunauges sind reduziert und erfüllen kaum noch ihre Funktion – in der Regel sind sie sogar am Körper des Neunauges kaum zu sehen. Die Tiere schwimmen dank ihrer schlängelnden Bewegungen wie Schlangen oder Muränen.
Wie viele Augen hat ein Neunauge wirklich?
Neunaugen haben nur zwei Augen. Ihr Name geht auf die als Augen anmutenden sieben seitlichen Kiemenspalten und die (unpaare) Nasenöffnung (also neun „Augen“ auf jeder der beiden Körperseiten) zurück.
Wandernde Neunaugen
Bei etwa der Hälfte der Arten, die zu den Neunaugen gerechnet werden, wandern die ausgewachsenen Tiere in das Meer, wo sie bis zu 18 Monate als Parasiten leben,[2] gewöhnlich nahe der Küste. Zu den Arten, bei denen dies vorkommt, zählen unter anderem die auch in Mitteleuropa verbreiteten Meer- und Flussneunaugen. Ihre Wirte sind Fische, an denen sie sich festsaugen, Blut trinken und Fleischstücke herausraspeln.[3]
Durch spezielle Substanzen in ihrem Speichel hemmen die Neunaugen die Blutgerinnung, weshalb bei angegriffenen Fischen keine Blutgerinnsel entstehen. Forscher versuchen, diese Substanz aus dem Speichel zu extrahieren, um sie in der Medizin einzusetzen und Blutgerinnsel aufzulösen. Größere, gesunde Fische überleben solche Angriffe meist und behalten nur typische kreisförmige Narben zurück, kleinere Arten jedoch, Jungtiere und kranke Fische können daran sterben. Größere Neunaugen greifen vereinzelt in Küstennähe auch Menschen an und saugen deren Blut. Die Bisse sind jedoch für den Menschen nicht giftig.[4]
Stationäre Neunaugen
Etwa zwanzig Arten der Neunaugen sind stationäre, nichtparasitische Süßwasserbewohner. Die Tiere bleiben in der Nähe der Stelle, an der sie die Larvenzeit verbrachten, und laichen hier auch wieder ab. Sie sind jeweils eng verwandt mit großen, anadrom lebenden Arten und werden deshalb auch als „Satelliten-Art“ der jeweils verwandten, anadromen Art genannt.[5] Ein Beispiel für eine solche stationäre Art ist das Bachneunauge.
Weitere nur im Süßwasser vorkommende Neunaugen sind das Oberitalienische Neunauge, das nur in Seitenflüssen des Pos vorkommt, und das nur im Einzugsgebiet der Donau vorkommende Ukrainische Bachneunauge (Eudontomyzon mariae).
Bei stationären Neunaugenarten graben sich die Larven im Gewässergrund ein und ernähren sich von Kleinorganismen, die sie aus dem Wasser filtrieren. Nach der Larvenzeit nehmen sie keine Nahrung mehr zu sich. Bereits während der Umwandlung in adulte Tiere bildet sich der Darm zurück. Die Tiere laichen nur noch ab und sterben dann.
Das donauendemische Donauneunauge (Eudontomyzon danfordi) weicht von diesem Verhaltensmuster ab. Es ist die einzige europäische Neunaugenart, die an Süßwasserfischen wie Barschen und Döbeln parasitiert.
Fortpflanzung der Neunaugen
Neunaugen laichen im Oberlauf von Bächen und Flüssen. Sie benötigen hierfür kiesige Substrate, die von kühlem, sauerstoffreichem Wasser durchströmt werden (daher kommen sie in den Tropen nicht vor).
Die noch augenlosen, wurmartigen Larven der Neunaugen werden Querder genannt. Sie vergraben sich nach dem Schlüpfen in sandigen Abschnitten der Gewässersohle. Der Kopf bleibt frei und fischt feine Nahrungspartikel (Plankton) aus dem Wasser. Meist nach 5 bis 7 Jahren erfolgt eine recht radikale Umwandlung (Metamorphose) des Körperbaus zum erwachsenen Tier.
Systematik der Neunaugen

Neunaugen. Bild: Jõesilmud2, CC BY-SA 3.0
Die Neunaugen werden zusammen in Bezug auf die äußere Systematik mit den Schleimaalen (Myxiniformes) in die Überklasse der Rundmäuler (Cyclostomata) eingeordnet. In den späten 1970er Jahren die Meinung durch, dass es sich bei den Rundmäulern um ein paraphyletisches Taxon handeln muss und dass die Neunaugen näher mit den Kiefermäulern (Gnathostomata) (Knorpelfische, Knochenfische und Landwirbeltiere) verwandt sind als mit den Schleimaalen.
Grundlegend für die Verwandschaft mit Kiefermäulern ist eine Reihe von gemeinsamen Merkmalen, die sich erst nach der Abspaltung der Schleimaale gebildet haben sollen, darunter vor allem die mit Muskulatur versehenen Basen der Flossen, das mit Nerven ausgestattete Herz, der Aufbau von Milz und Bauchspeicheldrüse und verschiedene physiologische Eigenschaften.[6] In Bezug auf die innere Systematik gibt es drei Familien, 10 Gattungen und etwa 47 bis 49 Arten der Neunaugen.
Die Rundmäuler sollen sich vor etwa 500 Millionen Jahren im Kambrium aus einem letzten gemeinsamen Vorfahren aller Wirbeltiere entwickelt haben, der allerdings wesentlich komplexer war als die Rundmäuler. Die Rundmäuler durchliefen daraufhin eine Degeneration und verloren zahlreiche der für Wirbeltiere typischen Merkmale, die Schleimaale mehr, die Neunaugen weniger. 360 Millionen Jahre alte Fossilien von Neunaugen sind den modernen Formen schon recht ähnlich.[7]
Kulinarische Bedeutung
Neunaugen werden seit der Antike als Speisefische sehr geschätzt und in der Küche meist als Lampreten bezeichnet. Der größte und auch wirtschaftlich genutzte Vertreter der Neunaugen ist das Meerneunauge.[8] Sein Fleisch ist weiß und fein, mit Aal vergleichbar, im Geschmack „fleischiger“ als das Fleisch der meisten echten Fische.
Im Mittelalter waren besonders die Lampreten von Nantes so berühmt, dass die Pariser Bürger den Händlern entgegen fuhren. Heinrich I. von England soll an einer Lebensmittelvergiftung gestorben sein, die er sich durch den Verzehr verdorbener Neunaugen zugezogen hatte. Daraufhin kam es zu einem langanhaltenden Bürgerkrieg. Noch im 19. Jahrhundert wurden in Norddeutschland Hunderttausende von Lampreten gefangen und gebraten und mit Essig und Kräutern mariniert angeboten. Das kleinere Flussneunauge (auch Bricke oder Pricke genannt) wurde bis in neuere Zeit in Elbe und Weser gefangen und über Holzkohle gegrillt.
In Frankreich, Galicien und Portugal stehen Lampreten noch heute auf traditionellen Speisekarten. Ein klassisches Lampretengericht ist Lamproie à la Bordelaise, bei dem die Stücke in einer Sauce aus Bordeaux-Wein, dem Blut der Neunaugen, rohem Schinken, Porree, Zwiebeln und Knoblauch gedünstet werden.
Mittlerweile gehören Neunaugen in Europa zu den gefährdeten Arten und werden nur noch selten angeboten. Nur im Baltikum werden regelmäßig Neunaugen auf den Märkten angeboten und gegrillt oder geräuchert verzehrt.
Einzelnachweise
- ↑ Parasiten in der Falle. In: der Standard. Abgerufen am 2. August 2023.
- ↑ S. Silva, M. J. Servia, R. Vieira-Lanero, S. Barca, F. Cobo: Life cycle of the sea lamprey Petromyzon marinus: duration of and growth in the marine life stage. In: Aquatic Biology. 18, 2013, S. 59–62. doi:10.3354/ab00488.
- ↑ S. Silva, M. J. Servia, R. Vieira-Lanero, F. Cobo: Downstream migration and hematophagous feeding of newly metamorphosed sea lampreys (Petromyzon marinus Linnaeus, 1758). In: Hydrobiologia. 700, 2013, S. 277–286. doi:10.1007/s10750-012-1237-3.
- ↑ Blutige Neunaugen-Attacken in der Ostsee. (Memento vom 21. Dezember 2009 im Internet Archive) 24. August 2019.
- ↑ Roland Gerstmeier, Thomas Romig: Die Süßwasserfische Europas. Franckh-Kosmos, Stuttgart 2003, ISBN 3-440-09483-9, S. 129.
- ↑ Volker Storch, Ulrich Welsch: Systematische Zoologie. Fischer, 1997, ISBN 3-437-25160-0, S. 544–548.
- ↑ Philippe Janvier: microRNAs revive old views about jawless vertebrate divergence and evolution. In: PNAS. Band 107, Nr. 45, 9. November 2010. doi:10.1073/pnas.1014583107
- ↑ M. J. Araújo, S. Silva, Y. Stratoudakis, Gonçalves, M., Lopez, R., Carneiro, M., Martins, R., Cobo, F., Antunes, C.: Sea lamprey fisheries in the Iberian Peninsula. In: A. Orlov, R. Beamish (Hrsg.): Jawless Fishes of the World. Volume 2, Cambridge Scholars Publishing, 2016, Chapter 20, S. 115–148.
Quellenhinweise
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